... ist keine literarische Gestalt, sondern einer der wenigen Herrscher, die ich wirklich respektiere, ein russischer Zar, der in jeder Hinsicht aus dem Rahmen fiel: Wie er im ausgehenden 17. Jahrhundert dazu kam, weiß ich nicht, aber er maß beachtliche 2,04 m.
Als Ehemann oder Vater möchte ich ihn nicht einmal geschenkt haben, aber was er seinem Land hinterlassen hat - "Hut ab!" Ein in sich zerrissenes, rückständiges Gebilde hat er innerhalb weniger Jahre (Alt ist er ja nicht geworden.) zu einem fortschrittlichen europäischen Land gemacht. Handwerker und Wissenschaftler hat er nach Rußland geholt, sich selbst in einer Reihe von Berufen und Fächern ausbilden lassen ("Zar und Zimmermann" ist natürlich idealisiert, aber nicht aus der Luft gegriffen!) und hat beim Aufbau Rußlands mit angepackt. Die Kehrseite sind natürlich die Verluste beispielsweise beim Bau der neuen Hauptstadt: Ohne die heutige Technik war es eigentlich unmöglich, im sumpfigen Norden etwas in der Größenordnung von Petersburg zu bauen. Auch sollte ich ihn weniger mögen, da Stalin ihn sein Vorbild nannte, aber ich sehe sehr wohl noch einen Unterschied zwischen diesem Rundum-Sadisten, der seine Macht mißbrauchte, um sein Volk in Angst und Mißtrauen zu halten, und jemandem, der den Fortschritt aus dem Boden stampfte.
Es gibt einen biographischen Roman von Alexej Tolstoj (Nicht zu verwechseln mit Lew Tolstoj!), der jedoch als ein Auftragswerk Stalins mit Vorsicht zu genießen ist. Historische Biographien sind in der Regel seriöser, wobei DIESER Zar natürlich zum Romantisieren einlädt.
Ein Herr Jakob Stählin war Mitte des 18. Jahrhunderts als Diplomat in Petersburg, konnte dort Menschen befragen, die Peter I. noch erlebt hatten, und hat diese Anekdoten aufgezeichnet. Das liest sich ganz amüsant. Anhand einer Markierung in einem Gebäude, hinterlassenen Kleidungsstücken und einem Schreibpult, an dem er im Stehen arbeitete, gibt Stählin die Größe Peters I. in Arschin und Werschok russischen und Fuß und Inch englischen Maßes an. Die Umrechnungszahlen finden sich im Wörterbuch, und so kam ich ziemlich genau auf 2,04 m.
Sein Zeitgenosse und Amtskollege war übrigens König Friedrich Wilhelm I. von Preußen, und die beiden waren so etwas ähnliches wie befreundet. Beide hatten ein verschuldetes, rückständiges Land geerbt und mit einigem Nachdruck auf Vordermann gebracht. Beide hatten ein hochgradig gestörtes Verhältnis zu Sohn und Thronfolger, wobei Friedrich II. wenigstens überlebt hat. UND der kleine dicke FW I hatte ein extravagantes Hobby, das ihn für mich interessant macht: Er s a m m e l t e Riesengrenadiere, diese Leibgarde, die im Volksmund "die Langen Kerls" genannt wurde. Ein paar von der Sorte bekam er als Gastgeschenk von Peter I. und schenkte diesem dafür ein paar nutzlos protzige (dachte er zumindest) Bernsteinverzierungen - die im Ekaterinenpalast Grundstock des Bernsteinzimmers wurden.
Nach dem Buch "Die ´Langen Kerls´" von Kurt Zeisler habe ich in der 2. Hälfte der 1990er die Berliner und Potsdamer Bibliotheken auf den Kopf gestellt - und dann schenkte es mir meine Freundin zum Geburtstag. Kann ich empfehlen.
Ähnlich ging es mit den Porträts der Riesengrenadiere. Seine Lieblingsexemplare hat FW I malen lassen und in einer eigenen Galerie im Potsdamer Schloß aufgestellt. Ein paar davon, hatte ich läuten hören, haben die Zerstörung nach dem 2. Weltkrieg überstanden. Die zu finden, war schon weniger einfach. Eine Spur führte ins Schloß Charlottenburg, aber die Herrschaften, die die Besucherherden durch die Räumlichkeiten führen, haben grundsätzlich keine Zeit für Fragen außer der Reihe und (zumindest in meinem Falle) keine Ahnung von etwas so Abwegigen. (Also nein; ich schäme mich ja schon...) Meine Freundin wird sich bestimmt noch an meinen durchdringenden Juchzer erinnern, als ich völlig überraschend über den Hinweis "Museum für Deutsche Geschichte" stolperte. Dieses heißt im nunmehr vereinten Berlin Deutsches Historisches Museum und befindet sich nur wenige hundert Meter von meinem damaligen Büro entfernt. Und richtig, die haben gleich VIER Grenadiersporträts in Lebensgröße. Der Ansehnlichste befand sich damals in der Dauerausstellung, James Kirkland aus Irland. Die Postkartenausgabe hiervon hängt bis heute über meinem Schreibtisch.
(Übrigens nicht weit von einem auf A4 vergrößerten Foto von diesem riesigen Denkmal Peters I. in Moskau, das 1997 zur 850-Jahr-Feier eingeweiht wurde. Damals war ich in Moskau eingesetzt und habe gleich an meinem 2. Wochenende einen Orientierungsmarsch unternommen, um ihn (Unterbau noch halbfertig) nahe genug vor die Linse zu bekommen. Konnte ja keiner ahnen, dass nach der Fertigstellung des Sockels plötzlich auch die ganzen aufgerissenen Straßen rundum wieder begehbar sein würden, von fotofreundlichen Sonnenverhältnissen an Wochenenden mal ganz zu schweigen...)
Damals Leibeigenschaft und bitterer Ernst, ist die Riesengarde zum 1000jährigen Jubiläum Potsdams als eine Dekoration der besonderen Art wiederbelebt worden. So weit, so gut, aber LEIDER saß ich damals am Endspurt meiner 1. Staatsexamensarbeit und bekam die Riesengarde so erst 2 Jahre später zu sehen.
Da gab es mehrmals Gegendemonstrationen, die sie als Ausdruck des preußischen Militarismus dämonisierten. Mit Militarismus will ich nichts zu tun haben, muß ich aber auch nicht. Soweit ich weiß, ist die ursprüngliche Riesengarde nie im Kampf eingesetzt worden; allerdings war der alltägliche Drill menschenverachtend und mehr noch die Art und Weise, wie die Männer in den Besitz Friedrich Wilhelms gelangt waren. Dem gegenüber steht eine praktizierte religiöse Toleranz, wie sie noch sehr lange einmalig bleiben sollte. Und, nicht zuletzt, gibt es an vielen Orten dekorative Palastwachen, Ehrengarden o. ä. in historischen Uniformen, bei denen niemand "Pfui, Militarismus!" schreit. Und sind nicht auch die meisten Sportarten aus Jagd und Kampf hervorgegangen? So fand ich das Schauexerzieren in Potsdam einfach nur faszinierend - und fand es erfrischend, in einem netten Gespräch zu einigen von den Jungs aufschauen zu können. Letzteres war damals eine völlig neue Erfahrung für mich und leitete den Prozeß ein, der mich dazu führte, meine Größe und meinen Körper zu mögen. Damals war ich 25 Jahre alt...
À propos Gardemaß und Bernsteinzimmer: Dort, im Ekaterinenpalast, habe ich ein paar Vertreter der Palastwache fotografiert. In ihren roten Husarenuniformen sehen sie gleichermaßen schneidig und putzig aus. Es sind Wichtelzwerge von etwa 1,65 m. Was lernen wir daraus? Nicht alles ist in Rußland größer als anderswo.